Zwischen Kreuzberg und KW
Text-Teil 2 - (vb-bge2.htm)
vb - Verkehrsgeschichtliche Blätter 3/91
 
 

2. Vorortgleise und S-Bahn auf der BGE

Die Anfänge des Vorortverkehrs - anfangs als Ausflugsverkehr - lassen sich für die BGE bis zum Ende der 6o'er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückverfolgen. Zu dieser Zeit wurde dafür eine neue Haltestelle "Neuer Krug" (heute Berlin-Schöneweide) in der Nähe des gleichnamigen Gasthofes eingerichtet. ". . . aus diesem bescheidenen Anfang entwickelte sich der heutige Bahnhof Schöneweide" [9]. Mitbestimmend fur die Anlage der Station waren auch die Aktivitäten des Johannisthaler Grundbesitzers von Trützschler, mit dessen Mitteln das erste Stationsgebäude errichtet wurde und nach dessen Bestimmung auch die o.g. Namensgebung erfolgte. Dieser frühe Zeitpunkt nur wenige Jahre nach der Eröffnung der BGE verwundert nicht, führte doch die Bahnlinie ca. 500 - 2000 m westlich von Spree und Dahme durch eine landschaftlich reizvolle Gegend.

In den 70er Jahren nahm der Ausflugsverkehr stark zu, begünstigt u.a. durch die Entstehung einer Vielzahl neuer Stationen. Zudem schaffte bald darauf die Parzellierung der Vorstadtgüter mit Bautätigkeit und Industrieansiedlung entlang der BGE ein zusätzliches Verkehrsbedürfnis [9].

Für den Vorortverkehr der BGE kamen ab Spätsommer 1878 für einige Jahre sogenannte Omnibuszüge zwischen Berlin und Grünau zum Einsatz. Das waren kurze Züge, die nur aus einer Straßenbahnlokomotive und bis zu vier Personenwagen bestanden. Nach Ansicht der Eisenbahnverwaltung war bei dem im Verlauf eines Tages außerordentlich stark schwankenden Verkehrsaufkommen der Einsatz solcher Züge ökonomischer als der gewöhnlicher Personenzüge. Von den Fahrgästen der BGE sollen diese Züge liebevoll "Nuckelchen" genannt worden sein.

Wie einer zeitgenössischen Schilderung zu entnehmen ist, waren jedoch nicht alle Fahrgäste nur an den Naturschönheiten interessiert:

"Sowie sich der Zug Adlershof nähert, gibt sich eine allgemeine Bewegung unter den Fahrgästen kund, denn alles Männliche verläßt seinen Platz und begibt sich, da wegen des Durchgangs durch den Wagen keine Türen geöffnet zu werden brauchen, nach den beiden Ausgängen am Ende jeden Wagens. Den Grund dieser Bewegung werden wir auf dem Bahnhofe sofort erkennen, denn Adlershof ist eine Bierstation. Der Bahnhofs-Restaurateur schlägt eben dicht vor uns auf dem Perron ein Fäßchen auf. Da alles bei diesem Zuge, der nur aus Vergnügungs-Passagieren besteht, Durst hat, so glaubt man sich nach einer bayerischen Eisenbahnstation versetzt. Auf wie lange die Aufenthaltszeit festgesetzt ist, weiß kein Mensch anzugeben, denn die Abfahrt erfolgt, wenn der Durst gestillt und das Fäßchen geleert ist, was freilich, da der Stoff gut ist, sehr schnell geht. Mit einer bewundernswerten Gemütsruhe setzt die Lokomotive sich allmählich wieder in Bewegung, denn aus allen Wagenfenstern sind von den ebenfalls nicht trockengebliebenen weiblichen Insassen verspätete leere Bierseidel noch herauszureichen, zu deren Empfang jeder auf dem Perron Anwesende behülflich ist. Bevor der Zug den kleinen Bahnhof verlassen hat, ist jedes Bierseidel zurückgekehrt." [10]

Die Vorortzüge der BGE verkehrten anfänglich zwischen Grünau bzw. Königs Wusterhausen (KW) und dem Görlitzer Bahnhof, ab 6. November 1885 auch von Niederschöneweide über den Äußeren Ringbahnanschluß und die östliche Ringbahn zur Stadtbahn.

In Vorbereitung der Gewerbeausstellung von 1896 im Treptower Park erhielt die BGE 1895 einen zusätzlichen zweigleisigen Anschluß an die Ringbahnstation Treptow, die dazu mit einem zweiten Bahnsteig komplettiert wurde. Dieser Gleisanschluß mündete nach ca. 3,5 km in Höhe der heutigen Karpfenteichstraße in einen provisorischen Bahnhof mit vier Bahnsteigen, der unter dem Namen "Ausstellung" (nicht zu verwechseln mit dem 1928 eröffneten Ringbahnhof gleichen Namens, heute Westkreuz) am 1. Mai 1896 in Betrieb genommen wurde. Von hier aus war es für die Ausstellungsbesucher nur ein kurzer Fußweg zum Treptower Park. Nach Beendigung der Gewerbeausstellung am 15. Oktober 1896 entfernte man die Baulichkeiten des Ausstellungsbahnhofs,  jedoch blieben die neuen Gleisanlagen von Treptow bis zum Kreuzungsbereich von Ringbahn und BGE bestehen. Man nutzte sie später für ein eigenes Vorortgleispaar der BGE  [11].
 
In den 18 Jahren von 1886 bis 1904 hatte sich der Vorortverkehr auf der BGE verfünffacht, sicherlich begünstigt durch die Einbeziehung von Königs Wusterhausen in den 1891 eingeführten Vororttarif. Nach dem Fahrplan von 1884 verkehrten täglich schon 80, nach dem Sommerfahrplan von 1904 sonntäglich sogar 206 Vorortzugpaare, davon jeweils ca. 2/3 zur Stadtbahn und 1/3 zum Görlitzer Bahnhof. Damit hatte der Vorortverkehr der BGE einen solchen Umfang angenommen, daß das Gleispaar insbesondere auf dem Abschnitt zwischen der Ringbahn und dem Bahnhof Niederschöneweide in seiner Kapazität erschöpft war. Die gleichzeitig bestehende Notwendigkeit der Erweiterung mehrerer Vorortstationen veranlaßte die Eisenbahndirektion Berlin um die Jahrhundertwende, den Bau besonderer Vorortgleise in Fortsetzung des Ringbahnanschlusses von 1895 in Angriff zu nehmen. Dabei war es vorteilhaft, daß durch den damaligen Bau des Teltowkanals ausreichende Mengen an billigen Bodenmassen zur Verfügung standen, um die gesamte Bahn hochzulegen. Damit konnte eine Reihe von Niveaukreuzungen mit Straßen beseitigt werden, was dem Verkehrsfluß zugute kam. Die Bauarbeiten zur Erweiterung eines ersten Abschnittes von der Ringbahn bis km 10,2 vor dem Bahnhof Adlershof-Altglienicke, wo die neuen Vorortgleise in die Ferngleise mündeten, begannen am 1. September 1902. Der Grunderwerb war schon so bemessen worden, daß in einem anschließenden Bauabschnitt:

  1. die Vorortgleise von Adlershof-Altglienicke bis Grünau verlängert,
  2. die bestehende eingleisige Güterverbindung von Baumschulenweg nach Rixdorf zum Südring nach zweigleisigem Ausbau für den Personenverkehr später ein drittes Gleis erhalten konnte,
  3. ein weiteres Vorortgleispaar zwischen dem Görlitzer Bahnhof und Niederschöneweide verlegt werden konnte.
Das vordringliche Bauziel war, Platz für den zukiinftig größten Personenbahnhof an der Strecke in Niederschöneweide zu schaffen. Das erforderte, den dortigen Rangierbahnhof zu verlegen. Diese Arbeiten konnten am 1. April 1905 u.a. mit der Inbetriebnahme der hochgelegten Ferngleise abgeschlossen werden. Etwa zwei Monate später waren die Vorortgleise auf ganzer Länge von der Ringbahn bis vor den Bahnhof Adlershof-Altglienicke östlich der Ferngleise fertiggestellt und wurden ab 15. September 1905 befahren. Am 1. Mai 1906, knapp 5 Monate vorfristig, war die offizielle Inbetriebnahme des ersten Abschnittes mit allen umgebauten Bahnhöfen. Am 29. September 1908 konnten dann die hochgelegten Ferngleise und am 1. Mai 1909 die verlängerten Vorortgleise bis Grünau in Betrieb genommen werden, wofür (der Teltowkanal war inzwischen fertiggestellt worden) auch Bodenmassen vom Falkenberg verwendet wurden. Die zweigleisig erweiterte Zweigstrecke von Baumschulenweg nach Rixdorf wurde am 1. Juli 1910 dem Verkehr übergeben.

Für das gesamte Vorhaben waren u.a. folgende Bauleistungen erbracht worden:

Die Kosten allein für den ersten Bauabschnitt betrugen inclusive Grunderwerb 11 Mio. Mark [12], [16].

Das vorgesehene Vorortgleispaar Görlitzer Bahnhof-Niederschöneweide wurde nicht gebaut, obwohl der Bahndamm stellenweise schon in der erforderlichen Breite geschüttet worden war. Die geplante niveaufreie Zusammenführung beider Vorortgleispaare sollte in km 3,4 in Höhe des Dammwegs mittels eines Überschneidungsbauwerks erfolgen. Der Bahndamm wurde deshalb dort ungewöhnlich breit angelegt. Der Vorortverkehr zwischen dem Görlitzer Bahnhof und KW mußte weiterhin die Ferngleise der BGE benutzen. Der für das geplante Gleispaar vorgesehene Bahnsteig A in Niederschöneweide-Johannisthal blieb ebenfalls unvollendet. Nur ein Treppenaufgang und die Widerlager für die Überführung an der Johannisthaler Chaussee (heute Sterndamm) haben sich bis heute erhalten. Kurioserweise war noch bis in die 50'er Jahre die Bezeichnung für die drei ausgeführten Bahnsteige mit den Buchstaben B, C und D beibehalten worden, als ob die damalige Planung noch immer Bestand gehabt hatte [13 (1946, Nr. 15)].

Hochgelegt wurde um 1908 auch der Streckenabschnitt der BGE zwischen Bouché- und Elsenstraße. Für die Herstellung der notwendigen Straßenunterführungen zahlten die Gemeinden Treptow und Rixdorf einen Zuschuß von 138 000 Mark, damit so die Straßenbahn durch die Elsen- und Graetzstraae geführt werden konnte [14].

Die Fortführung der selbständigen Vorortgleise von Grünau bis KW war 1912 im Planungsstadium, fiel dann aber offenbar dem 1. Weltkrieg zum Opfer.

Am Ende der Vorortstrecke in Grünau wurden für die Wartung und Restaurierung der Vorortzüge ein Rechtecklokomotivschuppen mit vier Gleisen erbaut und Abstellgleise angelegt. Diese Anlagen wurden am 1. April 1910 in Betrieb genommen. Aufgrund der Verkehrssteigerung erweiterte man den Schuppen bis Mitte 1920 auf mehr als den doppelten Umfang.

Im Rahmen der "Großen Elektrisierung" wurde die Vorortstrecke nach Griinau für den elektrischen Zugverkehr eingerichtet. Dafür war es u.a. erforderlich, die Bahnsteige von 76 auf 96 cm Höhe anzuheben und die Gleise mit einer Stromschine auszurüsten. Außerdem waren neue Signale zu instsllieren. In Niederschöneweide entstand am Adlergestell ein Gleichrichterunterwerk für die Stromversorgung. Am 6. November 1928 fuhren die ersten elektrischen Triebwagenzüge der Bauart "Stadtbahn" auf den Vorortgleisen der BGE von Grünau sowohl über den Südring als auch die Stadtbahn nach Lichtenberg-Friedrichsfelde, Spandau West und nach Gartenfeld - vorerst noch im Wechsel mit den Dampfzügen. Am 4. Januar 1929 wurde dann der vollelektrische Betrieb aufgenommen. In diesem Zusammenhang wurde auch der ehemalige Lokschuppen in Grünau zu einem Triebwagenschuppen umgebaut (ab 1946 als S-Bahn-Betriebswerk bezeichnet) [15].

Fortan blieben die Dampfzüge im wesentlichen auf die Relation Grünau - KW beschränkt, einzelne Dampfzüge nach KW fuhren aber weiterhin vom Görlitzer Bahnhof ab.
 
Für die Instandhaltung der elektrischen Triebwagenzüge erbaute man in knapp 15 Monaten vom 25. August 1926 bis zum 15. Oktober 1927 in Niederschöneweide das erste reine Triebwagen-Ausbesserungswerk in Deutschland. Die knapp 170m langen Hallen, ursprünglich für die Behandlung von 1 000 Wagen vorgesehen, umfaßten eine Fläche von 30 000 m².  Die Baukosten betrugen ca. 11 Mio. Mark. Am 31. Dezember 1927 wurde der erste neue Stadtbahnzug zur elektrischen Ausrüstung in das Werk überführt, was über ein besonderes Anschlußgleis vom Bahnhof Niederschöneweide-Johannisthal aus möglich war. Aufgrund der raschen Vergrößerung des Wagenbestandes auf  1 500 Wagen erweiterte man die Hallen in der Zeit vom 29. März 1930 bis zum 1. April 1931 mit einem Aufwand von 5 Mio. Mark um 18 000 m². Später erfolgte ein nochmaliger Ausbau des Werkes für zusätzliche 360 Wagen im Hinblick auf den erwarteten 20 %igen Verkehrsanstieg nach Fertigstellung der Nord-Süd-S-Bahn [16].

Bis auf die Zeit des 2. Weltkrieges, als die Ausbesserung wegen Kampfeinwirkungen zeitweise in andere Werke verlagert wurde, genügten die Anlagen in  Schöneweide allen Ansprüchen. Das Werk besteht in dieser Form noch heute.

 

 

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Text-Teil 3
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 vb Verkehrsgeschichtliche Blätter 3/91, Autor: Dr. Michael Braun, Berlin